Warum hat die politische Elite die afghanischen Vorortkräfte im Stich gelassen? Warum forcierte die USA den sich anbahnenden Konflikt zwischen Russland und der Ukraine? Warum schlägt sich Deutschland und die Europäische Union auf die Seite eines Landes, das noch 2021 von westlichen Staaten als korrupt, undemokratisch und fern von westlichen Werten charakterisiert wurde? Warum bezeichnet die westliche Politik die Lieferung schwerer Waffen in ein Krisenland als solidarischen Akt (Anm. Autor: Der Begriff Solidarität ist historisch ausschließlich der humanitären Hilfe für Bedürftige vorbehalten)? Warum retten private Verbraucher die zumeist börsennotierten Gasunternehmen, obwohl diese Unternehmen und ihre Aktionäre jahrelang satte Gewinne abschöpften? Warum drücken sich führende Journalisten bei politischen Themen immer häufiger vor genau dieser Frage?
Über Jahrhunderte war die Frage nach dem Warum ein dynamischer und verlässlicher Motor für gesellschaftlichen und politischen Fortschritt in der Welt. Vor allem in Wissenschaft, Forschung, im jeweiligen Rechtssystem, Journalismus und bei zukunftsweisende und politische Entscheidungen war das Adverb unabdingbar. Die Antworten auf das Warum gab allen Akteuren immer wieder Sicherheit, Perspektive, Wissenszuwachs und Voraussetzung für eine freie, unabhängige Meinungsbildung.
Mit der Häufung von politischen Skandalen, Finanz- und Wirtschaftskrisen, der Verlagerung von Entscheidungs- und Gestaltungsbefugnissen auf Institutionen wie der Europäischen Union, der NATO, der WHO und anderen, änderte sich die Situation schleichend und durchaus dramatisch. Die hartnäckigen, kritischen Fragen nach dem Warum, wurden der Politik zunehmend suspekt, unheimlich und unbequem. Auch der kritische Journalismus scheint sich bei aktuellen, politischen Themen zunehmend vor der investigativen Frageform zu drücken.
Ließe sich die Politik auf die kritisch unterlegte Frage nach dem WARUM ein, käme sie bei den aktuellen und politisch brisanten Themen in dramatischer Erklärungsnot, müsste sich mit der politischen Vergangenheit, den Kritikern aus den eigenen Reihen, mit Verbündeten und der Europäischen Union kontrovers auseinander setzen. Dem Wohl des Staates müsste wieder Priorität eingeräumt und eigene, geopolitische Machtinteressen zurückgestellt werden. Im Ergebnis stünden die Schwächung der innenpolitischen Macht und der Verlust der außenpolitischen Machtansprüche. Dann doch lieber keine (ehrlichen) Antworten auf das Warum und weiter mit dem Kopf durch die Wand. Mag es auch noch so kurzsichtig sein.
Die Folgen der Ablehnung der Warum-Frage führt zwangsläufig zur Selektion der Gesellschaft in Links- und Rechtsextremismus (aktuell die Steigerung in extremen Links- und extremen Rechtsextremismus), Öko-Terrorismus, Pegida-Anhänger, Corona-Leugner, Europagegner, Nato-Gegner, Kriegsgegner, Russophobe, Putin-Versteher, Trump-Unterstützer und mehr. Neuer politischer Widerstand wird politisch und medial schnell einer der negativ besetzten Kategorie zugeordnet und somit erstickt.
Und da ist sie wieder, die in der Politik so verpönte Frage: Warum?